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@ HALLE 14, Leipzig | Walther Le Kon
TERRA MEDITERRANEA: IN ACTION
Kunst
17. September bis 20. November 2016
HALLE 14 – Zentrum für zeitgenössische Kunst

Michael Arzt | Kurator
Yiannis Toumazis | Kurator

© Nils A. Petersen

Die Gruppenschau »Terra Mediterranea: In Action«, gemeinsam mit dem Kunstzentrum Nikosias NiMAC geplant, erlaubt eine Aussicht auf die durch zahlreiche Brüche und Diskontinuitäten geprägte, mediterrane Welt aus der Perspektive des Südens. Die Kapitalistische Melancholie war bereits im Frühjahr Gegenstand einer von Camille de Toledo und François Cusset co-kuratierten Schau. Sie stellte dem steten medialen und sozialen Beschleunigungsdruck die restlose Erschöpfung gegenüber.

Seit mehr als fünf Jahren geht das Gespenst der Krise in Europa um. Es begann als Bankenkrise, wuchs sich zu einer Staatsschuldenkrise aus und verursachte Wirtschafts- und Regierungskrisen – und nicht nur in Griechenland, Spanien, und Zypern. Aus der Sicht der Länder Nordeuropas sind diese Staaten selbst verantwortlich für ihre Schulden: Die harten Sparmaßnahmen werden nicht als nur nötig, sondern auch als fair und gerecht betrachtet. Der Süden sieht sich durch diese – trotz inneren Widerstands durchgesetzten – Sparmaßnahmen jeder Gestaltungsfreiheit und Generationen um ihre Zukunft beraubt. Spätestens mit den Fluchtbewegungen nach Mitteleuropa und Großbritanniens Entscheidung für den Brexit, wurden die inneren Fliehkräfte der europäischen Einheit offenbar. Die daraus resultierenden, politischen wie gesellschaftlichen Ungleichgewichte bedrohen gute wie schlechte Errungenschaften eines geeinten Europas. Grenzanlagen entstehen quer durch den Kontinent. Rechte, populistische und anti-demokratische Bewegungen sind allgegenwärtig und bestimmen auch in Deutschland längst das politische Tagesgeschäft.

Das von Südeuropa, Vorderasien und Nordafrika umschlossene Mittelmeer, die »Terra Mediterranea«, bildet seit alters her einen »flüssigen Kontinent« des Transfers von Menschen, Kultur und Ideen – ob friedlich oder kriegerisch – und eignet sich nicht als Wassergraben einer Wohlstandsfestung. Der Süden erscheint als irrationaler Unterleib Europas, der Unordnung, Grenzverletzungen und koloniale Gespenster mit sich bringt, sich aber gleichzeitig auf eine gemeinsame, mythisch glorreiche, antike Vergangenheit bezieht. Lange Zeit vom Westen als orientalischer Hort von Korruption und Rückwärtsgewandtheit herabgestuft, ist er unweigerlich in den Fokus politischen Weltgeschehens gerückt. Vielleicht weist aber gerade das Verbindende den Ausweg aus der Krise, eine Mittelmeerunion als Ergänzung der EU, die die Entkolonialisierung abschließt, und der Jugend einen Ausweg aus Stagnation, Armut, Autoritarismus und Gewalt bietet.

Diese Ausstellung setzt auf das verbindende Potential der Kunst als geistige Mittlerin und versammelt Künstlerinnen und Künstler aus 14 Ländern, um sich möglichst viele Perspektiven – aus politischen, kritischen und poetischen Haltungen heraus – auf diese turbulente Phase und ihre Vorgeschichten zu öffnen. Als »Mögliches, das das Werdende einschließt« eröffnet sie dabei Horizonte ebenso reicher wie widersprüchlicher historischer und kultureller Traditionen. »Terra Mediterranea: In Action« hinterfragt bestehende Stereotype und fixe Vorstellungen von Finanzen, Sicherheit sowie Identität und gibt ungehörte, widerständige und aktivistische Stimmen die Möglichkeit, gehört zu werden.

Mehr zur HALLE 14:

Die HALLE 14 ist der Beweis, dass in der Entschleunigung immer auch die Chance eines Neubeginns liegt, ist sie doch selbst Gewinnerin des Schrumpfens ostdeutscher Städte. Der Leerstand wurde zu einem künstlerischen Freiraum, der schon allein von der räumlichen Dimension her seinesgleichen sucht. Das Auftaktsymposium liegt jetzt beinah 14 Jahre zurück. Doch die Gründung der HALLE 14 2002 wurde von einem Ereignis überschattet, das das 21. Jahrhundert einläutete: der 11. September 2001. Auf den Tag genau vor 15 Jahren zerfielen mit dem World Trade Center die nach dem Kalten Krieg geweckten Hoffnungen auf eine friedvolle Zukunft zu Staub. Frank Motz, neben Karsten Schmitz Gründungsvater und über eine Dekade unser Aufbau-Programmchef, wurde damals direkter Zeuge des Zusammenbruchs am Ground Zero. Die Ausrichtung, die er der sanierungsbedürftigen Spinnereihalle 14 gab, war von dieser Erfahrung geprägt: Werde dich selbst los, proklamierte die erste Schau. 20 Ausstellungen folgten. Sie widmeten sich u.a. »Der Kultur der Angst« und den »Changes« 10 Jahre nach 9/11. Mit dem »Hybris-Projekt« gab er 2015 seinen kuratorischen Ausstand in Leipzig. Die Programmatik hat er mir übergeben. Es fehlt diesem Editorial an Platz, seinen rastlosen und übermenschlichen Einsatz für dieses Kunstzentrum im Werden annähernd zu würdigen. Diese Zangengeburt zählt zu einer seiner Großtaten. Sein Anspruch, mit der Kunst als Motor die Wirklichkeit zu stimulieren und schonungslos sein eigenes Tun zu befragen, wird hier noch lange fortwirken. Dafür sei ihm in dieser Zeitung, die er ebenfalls mitbegründet hat, außerordentlich gedankt.

Während mit den Mitteln der Kunst die Krisen unserer Zeit reflektiert wurden, standen institutionell die Zeichen auf Konsolidierung: Vorerst wichtigstes Ziel war nach der Sanierung der Sprung von der Sommerausstellungshalle zum ganzjährigen Kunstprogramm. Da im zweiten Jahr in Folge vier große Ausstellungen eröffnet wurden, darf das als geglückt gelten. Lang gehegte Wünsche, wie die Ergänzung des Ausstellungskubus durch einen Zwilling, wurden dieses Jahr ebenfalls umgesetzt. Bereits im letzten Jahr wurde eine neue Sondersammlung der Bibliothek hinzugefügt, die jedem Spinnerei-Künstler eine eigene Archivbox widmet.

2015 erhielten wir unsere zweite Architekturauszeichnung: Die Anerkennung zum Sächsischen Staatspreis für Baukultur, weil hier beispielhaft zu erleben ist, dass ein Industriegebäude auch mit geringen finanziellen Mitteln zu einem attraktiven, öffentlichen Ort entwickelt werden kann. Unsere Kunstvermittlung erhielt ebenfalls zum zweiten Mal den Sächsischen Medienkompetenzpreis (2013 und 2015) für zwei Projekte, die mittels Kunst über alltäglichen Medieneinsatz reflektieren. Das Projekt »Me, My Selfie and I« war ebenfalls für den klick-safe-Preis 2015 nominiert. Sehr haben wir uns gefreut, 2016 von einer unabhängigen Jury auf die Liste für den ADKV/Art Cologne-Kunstvereinspreis gesetzt worden zu sein – seit 2011 das zweite Mal. Da für uns jede Unterstützung eine Auszeichnung ist, möchten wir unseren zahllosen Groß- und Kleinförderern danken. Dass wir einmal mehr ein Projekt mit Hilfe der Kulturstiftung des Bundes durchführen dürfen, erscheint uns wie ein Hauptgewinn; die zweite Förderung durch die Allianz Kulturstiftung ebenso. Wir danken unseren treuen Unterstützern vom Kulturamt der Stadt Leipzig, von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Federkiel und der Spinnerei und den vielen anderen, die unsere Projekte und Veranstaltungen ermöglichen. Dank gilt auch allen, die tagtäglich, kontinuierlich über Jahre hinweg, im freiwilligen Kurzeinsatz oder durch spontane Hilfe den hiesigen Kunstbetrieb aufrechterhalten und weiterentwickeln. An dieser Stelle seien besonders die jungen Bundesfreiwilligen hervorgehoben, die uns seit 2013 je für ein Jahr unterstützten: Pia Herrmanns, Jana Weichsel und Felix Blaser. Ihr wart tolle Helfer im Alltag! Willkommen geheißen sei Miriam Wiskemann, die Sie vermutlich demnächst am Infotresen begrüßen wird.

Obwohl wir befürchten müssen, »dass uns die Kunst vor gar nichts erlöst«, zeigen diese Ausstellungen, dass grenzüberschreitende Verständigung keineswegs nur eine Aufgabe für Chefdiplomaten ist. Benötigt wird lediglich, was es zum Kunstgenuss so braucht: Neugier auf Unbekanntes, den Willen, Unverständnis und Unterschiede auszuhalten und das Scheitern mit einzukalkulieren.

aus: PDF des Ausstellungsmagazins

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