2008 hat die Stiftung Federkiel in den ehemaligen Arbeiterhäusern der Spinnerei an der Thüringer Straße eine ›Arbeitswohnung‹ angemietet und die Leipziger Künstlergruppe FAMED beauftragt, Wohnung und Mobiliar als künstlerisches Material zu begreifen.
Famed | Künstler
Kenah Cusanit | Autorin
2008 hat die Stiftung Federkiel in den ehemaligen Arbeiterhäusern der Spinnerei an der Thüringer Straße eine ›Arbeitswohnung‹ angemietet und die Leipziger Künstlergruppe FAMED beauftragt, Wohnung und Mobiliar als künstlerisches Material zu begreifen. Eine quer durch die Räume laufende, ironisch-narrative Textarbeit funktioniert als sichtbare Klammer. Entstanden ist ein Gesamtkunstwerk, dass von der Stiftung als Wohn- und Denkraum gelebt wird.
KENAH CUSANIT
Ich bin, also denke ich
Und wo bin ich? Dahinter. Habe die Tür schon aufgemacht und die Wohnung betreten, hinter mir Jahrhunderte Cartesianisches Denken. Ein Denken, das, wie es aussieht, vor der Tür stehengeblieben ist. Davorstehen ist womöglich das Schicksal derjenigen, die über einen Zugang zu etwas nachdenken, ohne sich von ihrem Standpunkt wegzubewegen, nach:
131 Jahren. Nach 12 Stunden Arbeit. Auf die Uhr sehen. Aufstehen. Auf die Uhr sehen. Anziehen. Auf die Uhr sehen. Frühstücken. Auf die Uhr sehen. Zur Arbeit gehen. Arbeiten. Auf die Uhr sehen. Mittagspause. Weiterarbeiten. Auf die Uhr sehen. Nach Hause gehen. Über das Werkgelände laufen, all die Uhren an all den Gebäuden sehen. Kind aus dem Kindergarten holen. 2 Stunden spielen. Auf die Uhr sehen, auf die Uhr sehen! Abendessen. Wecker stellen. Schlafen gehen. Aufstehen.
Es gibt Großmütter, die essen noch immer nicht, wenn sie Hunger haben; sie essen, wenn es 6 ist, wenn es 12 ist, wenn es 6 ist. Sie haben den Esstisch dort hingestellt, wo die Lampe hängt. Sie haben auch ihre Enkel ins beste Licht gerückt, nie sich selbst.
Was tun in all dem Licht? Türen auf. Tisch verschieben. Boden schleifen. Großmutters Spiegel vergrößern. Darin sich selbst sehen, seinen eigenen kleinen vererbten Körper. Spiegel woanders aufhängen. Alternativ: weiter hineinsehen. Daran arbeiten, sich selbst zu sehen. Arbeit mit nach Hause nehmen. Arbeit mit in die Küche, mit ins Bett nehmen. Arbeit selbst definieren.
Von sich selbst wieder absehen.