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Rémy Markowitsch | T1, T2, T3, 1992
Kunst
seit März 2017
Sammlung Federkiel im Luitpoldblock

Rémy Markowitsch | Künstler
Jörg van den Berg | Kurator

Die uralte braune Schweizerrasse zeichne sich durch hohe Anpassungsfähigkeit aus, ihr Stammbaum reiche bis zum Torfrind der Pfahlbauer zurück. Die schweizerische Fleckviehrasse, in der Schweiz «entstanden» oder im Altertum eingeführt, teilt sich auf in das sogenannte Rotfleckvieh (die Simmentaler) und Schwarzfleckvieh (die Freiburger). Gesicherte und ungesicherte Stammbaumdaten, Stolz einer einst bäuerlichen Gesellschaft. Vor ein paar wenigen Jahren sah man am Fernsehen einen Grossbauern und Grossviehhändler, in weiterhin idyllisch anmutender Alplandschaft, mit Natel-Funktelefon Simmentaler-Kühe direkt von der grünen Wiese nach den USA vermitteln. Die Amerikaner kauften damals wie wild diese Rasse, weil sie sich offenbar sehr gut für die fleischproduzierende und verschlingende Neue Welt eignet.

Die Schweizer Bauern ihrerseits hatten ein gegenteiliges Interesse. Sie liessen ihre Simmentaler Kühe von amerikanischen Stieren besamen, damit die aus der Kreuzung gezeugte Rasse noch mehr Milch produziert. Da aber die Simmentaler Kuh zum Schweizer Alpen- und Tourismus-Bild gehört wie die weissen Kappen der Schneeberge und zur Schweizer Seele wie die Toni-Milch, gab es da bestimmte ästhetische Probleme. Man konnte nicht den Samen der originalen amerikanischen Superstiere verwenden, weil diese dunkle, ja schwarze Rasse die Braunfleckung der Simmentaler auffallend verändert hätte. Also benützte man den Samen eines mit einem Albino gekreuzten und deshalb viel helleren Stiers. Plötzlich starben unerklärlich viele Kühe an einer unerklärlichen Krankheit. Aus ästhetischen wurden leibliche, für uns heisst das veterinärmedizinische und finanzielle Probleme, kaum aber ethische, weil wir die Tiere nach wie vor zur äusseren Natur zählen.

Wir leben in «Der Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit», wie Gernot Böhme den berühmten Titel Walter Benjamins abwandelte, und wir leben mit ihr und wir sind sie selbst. Bisher war die Natur, was immer schon dagewesen ist, und die Technik das, was wir machen. Wir würden nur sauren Wein und saure Äpfel essen, wäre das immer so strikt getrennt gewesen, wie es sich in unseren Köpfen darstellt, aber heute ist eine Verschmelzung von Natur und techné möglich, die der Bedeutung der Kern-Verschmelzung in nichts nachsteht.

Wir haben zwar die Natur noch längst nicht ausgeschöpft, könnten noch Jahrhunderte mit Erkunden und Nachahmen, mit der Mimesis uns bescheiden, aber wir Vorwitzige haben ein paar geheime Schlüssel entdeckt, die unsere Eingriffe grundsätzlich verändern werden. Wir Menschen sind an ein paar entscheidenden Stellen von Nachahmern zu Schöpfern geworden – und behaupten gleich wieder, oh Grössenwahnsinnige, wir hätten alles im Griff. Markowitsch’ Kreuzungen idealtypischer Kühe, Edelsäue, Kaninchen und Hunde erinnern an die surrealistische Praxis des Beschneidens, Verdoppelns, Vervielfachens. Die Surrealisten wollten das Phantasmagorische hervorzaubern, dem Informen (das «informe» von Bataille), der verdrängten Gegenwelt zum Recht verhelfen. Markowitsch’ «cadavres exquis» lässt Dr. Dolittle, endlich am Ziel, den Stossmich-Ziehmich finden. Seine fast stillen, zum 1:1-Massstab vergrösserten Doppeltier- Porträts scheinen in der Ambivalenz von würdevollem Porträt und mechanistischer Durchleuchtung eine Spannung zu erzeugen, die die Techno-Natur-Orgie der Zukunft erahnen lassen. «Damit wir wieder ruhig schlafen…», wie eine Kampagne für die Freigabe der Gen-Technologie uns weismachen will.

Urs Stahel, Direktor Fotomuseum Winterthur
Auszug aus: Rémy Markowitsch, Nach der Natur. Hg. Galerie Urs Meile, Luzern, 1993

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